Worte zum Sonntag

Nur Meer

Liebe Leserinnen und Leser!

Jetzt sind es nur noch etwas mehr als sieben Wochen, und dann beginnen für die Schülerinnen und Schüler die großen Sommerferien. Und damit beginnt für viele Menschen auch die Hauptreisezeit. Es gibt in Deutschland, Europa und weltweit viele Reiseziele, die sich lohnen entdeckt zu werden! Und trotzdem geht es vielleicht manchen von Ihnen so wie mir und Sie haben ein Reiseziel, wohin Sie besonders gern fahren.

Für mich ist das die Nordseeinsel Föhr. Und wenn ich am Tag meiner Anreise das erste Mal ans Meer gehe, erfasst mich jedes Mal eine große Freude. In dem Moment, in dem ich den kleinen Hohlweg, der zum Strand führt, verlasse und auf die Standpromenade trete und dann das Meer vor mir sehe, auf dem unzählige Optimisten, Katamarane und Surfer der nahen Segelschule unterwegs sind, bin ich glücklich.

Und dieses Glück stellt sich ein, unabhängig davon, ob das Meer an diesem Tag blau oder grau ist, ob es sonnig oder der Himmel bewölkt ist und eine „steife Brise“ weht. Dem Dichter Erich Fried schien es seinerzeit wohl ähnlich ergangen zu sein, zumindest lässt sein Gedicht „Meer“ das vermuten:

Meer

Wenn man ans Meer kommt

soll man zu schweigen beginnen

Bei den letzten Grashalmen

soll man den Faden verlieren

und den Salzschaum

und das scharfe Zischen des Windes

einatmen

und ausatmen

und wieder einatmen

Wenn man den Sand sägen hört

und das Schlurfen der kleinen Steine

in langen Wellen

soll man aufhören zu sollen

und nichts mehr wollen wollen

nur Meer

nur Meer

So, wie Erich Fried den Glücksmoment beschreibt, wenn man ans Meer kommt, hat es fast einen mystischen Klang. Das Glück besteht darin, dass aller Trubel und alles Gehetztsein von einem abfällt. Es besteht darin, dass die Gedanken aufhören sich permanent darum zu drehen, was man alles noch tun müsste oder auch darum, was man sich so sehnlich wünscht. Man ist ganz im Hier und Jetzt. Ist offen für den Augenblick, für sich selbst und auch für Gott.

Ja, auch für Gott. In Momenten wie dem von Fried beschriebenen kommen wir ins Staunen. Wir staunen über die Schönheit der Natur, als hätten wir sie zuvor noch nie wahrgenommen, und dabei erahnen wir auch Gottes Größe und Erhabenheit. So empfand es vermutlich auch der Dichter des 139. Psalms, von dem die folgenden Zeilen stammen: „Wie kostbar sind für mich deine Gedanken, oh Gott, es sind unbegreiflich viele! Wollte ich sie zählen, so wären sie zahlreicher als alle Sandkörner dieser Welt. Und schlafe ich ein und erwache, so bin ich immer noch bei dir.“

Wenn man sich am Strand eine Handvoll Sandkörner durch die Finger rinnen lässt, dann kann sich durchaus der Gedanke einstellen, wie wenig wir Menschen noch von den Wundern dieser Welt kennen und wie kunstvoll Gott alles hat ineinandergreifen lassen. Man kann die Größe und Erhabenheit Gottes spüren. Doch der Dichter des 139. Psalms betont neben der für uns unfassbaren Erhabenheit Gottes fast in einem Atemzug auch seine Nähe. Auch wenn wir Gott intellektuell nicht begreifen, so können wir uns doch bei ihm bergen, weil er sich uns zuwendet, weil er uns nahekommt und sich für seine Menschen interessiert.

Liebe Leserinnen und Leser, ich wünsche Ihnen in diesem Sommer viele Glücksmomente, unabhängig davon, ob Sie in den nächsten Wochen auf Reisen gehen oder in unserem schönen Gründau und Gelnhausen bleiben, Momente, in denen Sie offen sind für den Augenblick, für sich selbst, für Gott.

Ihre Pfarrerin Caroline Miesner

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